Mannheim 1: subito und Verleger

Die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB) findet dieses Jahr vom 27.-29. Sept. in der Bibliothek der Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg statt. Der Dienstag startete mit den üblichen Gruß- und Einführungsworten der AGMB-Vorsitzenden, des Dekans und der Leiterin der gastgebenden Bibliothek. Spannend versprach es jedoch nach der Pause zu werden. Zwei Vorträge über die subito/Urheberrechtproblematik waren angekündigt. Wer sich jedoch von Dr. Traute Braun-Gorgon in ihrem Vortrag „Subito – Dokumente aus Bibliotheken“ Erhellendes zur derzeitigen Rechtslage versprochen hatte, sah sich enttäuscht. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen referierte Frau Braun-Gordon 35 Minuten lang über die Dienstleistung subito, als wenn ihre Zuhörer Ärzte oder sonstige unbedarfte Endnutzer wären. Was mich zudem sehr irritierte, war, dass sie von subito ständig in der Vergangenheit sprach. „Es war eine gute Sache. Die Idee war gut, usw.“ Mir kam es so vor als ob ein Haus brennen würde und der Eigentümer erzählt dem entsetzten Reporter etwas von der geglückten Einweihungsparty. Der folgende Vortrag entschädigte aber auf das Angenehmste. Dr. Harald Müller, Musterprozesse um Kopienversand – Anfang vom Ende der freien Informationsversorgung?, nahm kein Blatt vor den Mund, als er die Strategie der Verleger aufzeigte, den Kopienversand und Leihverkehr in Deutschland – so wörtlich – platt zu machen: „Die spinnen ja, gell.“ Als besonders perfiden und taktisch geschickten Schachzug bezeichnete er die Beschwerde der STM-Verlage bei der EU-Kommission gegen die BRD. Aufgrund der langsamen Umsetzung von EU-Recht in deutsches Recht ist die Bundesregierung ein gebranntes Kind und fürchtet ein Vertragsverletzungverfahren der EU wie der Teufel das Weihwasser. Zusammenhänge mit dem darauf folgenden „Einknicken“ der Justizministerium Frau Zypries (zwei Wochen nach dem Besuch des Elsevier-CEO) lägen auf der Hand. Er prophezeite, dass „die Verlage die Informationsversorgung als Monopolisten in die eigenen Hände nehmen werden.“ Na denn Prost Mahlzeit! Er gab allerdings zu bedenken, dass sich dieses profitorientierte Verlagsdenken am Ende aber überheben (33 € pro Artikel!) und letztendlich genau das Gegenteil bewirken könnte: Durch das Absahnen der Verlage seien die Wissenschaftler und Regierungskommissionen aufgewacht. Der daraufhin erstarkte Open Access Gedanken könne insbesondere kleinere Verlage in ihrer Existenz bedrohen.

Ein schnelles Ende der freien Informationsversorgung sei aber nicht wahrscheinlich, da erfahrungsgemäß die von Verlagsseite angestrengten Klagen Prozeße in einer Dauer von bis zu 5 Jahren nach sich ziehen würden. Bis dahin (d.h. bis zum ev. Ende der Fernleihe) bezahlen die Bibliotheken aber weiter brav ihre Abos und schliessen Verträge mit den Plattmachern … 🙁

medinfo entdeckt von Blog-Spammern

Oh weh, oh weh, wie habe ich nur glauben können, dass dieser Kelch an medinfo vorübergehen würde?! Spam-Mails in der medibib-l-Liste kenne (und lösche) ich ja schon seit 10 Jahren, aber dass es Spammer auch auf Weblog-Kommentare abgesehen haben? Alleine 30 in den letzten beiden Tagen! Saupreiß, damische!!

Santander 6

Die Konferenz ist heute zu Ende gegangen 🙁 . Mit der ueblichen Folklore-Tanzeinlage natuerlich. Die Lautstaerke der Dudelsack-aehnlichen Musike war atemberaubend – wie die Darbietung der teilweise weit ueber 60-jaehrigen Taenzer.

Zuvor standen noch zwei Highlights auf dem Programm in Form der Vortraege von Becky Lyon „US Health Sciences Libraries: Physical Places or Virtual Spaces in the 21st Century?“ und Peter Morgan „Developing a digital institutional repository: the DSpace@Cambridge project“. Beindruckend vor allem das ungebremste Neubauprogramm US-amerikanischer Bibliotheken und deren strikte Ausrichtung auf den Besucher – angefangen von der Lesesaal-Atmossphaere allerhoechsten Luxus, Wifi-Cafes und „Streets of Services“. Beeindruckend auch die transparente Aufstellung schuetzenswerter Altbestaende inmitten der Bibliothek.

Auf der Closing Ceremony wurden die Einladungen fuer die naechsten Konferenzen ausgesprochen – angefangen von Palermo im Juni 2005, Salvador Bahia im Sept. 2005, Cluj 2006, Krakow 2007 und – surprise, surprise – Brisbane, Australien, in 2009 (10th ICML, Kontakt Lisa Kruesi).

Santander 5

Auf der Vollversammlung der EAHIL standen nicht nur Wahlen (Helena Bouzkova bereichert ab nun das Executive Board), sondern auch eine wahrhaft existienzielle Entscheidung auf dem Programm: Das Board hatte doch tatsaechlich vorgeschlagen, in Zukunft ohne Mitgliedsgebuehren auskommen zu wollen. Stattdessen soll man durch Teilnahme an einer EAHIL-Konferenz (oder Workshop) Mitglied werden oder indem man von zwei Mitgliedern vorgeschlagen wird. Letzteres erinnerte sehr an die Gmail-Hype und ging etlichen Mitgliedern gegen den Strich, wohl weil man hier wieder kuenstlich Barrieren aufrichtet, die man durch den Wegfall der membership fee doch gerade einreissen wollte. Wie dem auch sei: Wer ab 2006 in Deutschland EAHIL-Mitglied werden moechte, kann sich vertrauensvoll an mich und Ulrich Korwitz wenden, wir werden ihm schon bestaetigen, dass er in diesen exklusiven Zirkel hinein darf. 😉

Die EAHIL-Webseite wird nun dankenswerterweise von Benoit Thirion gepflegt. Vielleicht wird hier nun – aehnlich wie von den Scitech Librarians – ein Weblog installiert, schoen waer´s jedenfalls. Auch hier gilt der auf der Konferenz oft zu hoerende Spruch: Content is King! Ohne Einwerbung von Inhalten (und Personen, die diese einbringen), ist jede technische Entwicklung – seien es Weblogs, PDAs oder Open Access-Repositories – zum Scheitern verurteilt.

Was noch: Ah, warum dieser ueberraschende Vorschlag des Boards? Die Mitgliederzahlen sinken doch tatsachlich jedes Jahr um 5-10%. Warum weiss keiner, auch hat keiner harte Fakten, ob die Mitglieder nun in Massen zur EAHIL stroemen werden, aber was soll’s: Es ist halt ein Versuch wert …

Santander 4

Einen interessanten Bericht aus Australien gehoert: Lisa Kruesi sprach ueber: Rural but not remote! Access in outback Australia. Report on the implementation of Personal Digital Assistants (PDAs) for medical students, clinical teaching staff and health librarians. Das Ministerium hatte 45.000 € fuer 70 iPAQ H2200 spendiert. Als Ressourcen wurden UpTodate, Clinical Evidence, Harrison on Hand und diverse Oxford Textbuecher angeboten, also so ziemlich genau dasselbe, was wir auch in Muenster im Angebot hatten.

Zuvor sprach Bruce Madge, an dem man als Medizinbibliothekar – spaetestens nach seinem Buch – wohl kaum vorbeikommt, ueber The role of knowledge management in promoting patient safety. Das war einer der Highlights auf dieser Konferenz fuer mich. Patientensicherheit meint, dass jeder Kranke sicher sein kann, nach dem bestmoeglichen Therapiestandard behandelt zu werden. Dies beinhaltet selbstverstaendlich vollstaendige Literaturrecherchen und damit Health Information Professionals wie Medizinbibliothekare. Der „Expert Patient“ weiss vielleicht mehr ueber die Krankheit als der Arzt, ueber seine Krankheit ist er aber der absolute Experte. Diese wertvollen Informationen, die nur der Patient besitzt, darf nicht verloren gehen, sondern muss wieder in das Gesundheitssystem eingespeist werden.

Eine der nettesten Sitzungen war die „Learning from the past“-Session – nicht etwa weil ich dort die einzigartige (und ueberraschende) Gelegenheit hatte, einen historischen Vortrag zu halten, sondern weil sich mir ganz neue und erfrischende Blickwinkel auf den Gesundheitssektor ergaben:

Hogsbro lehrte mich einen Trick der Wikinger Krankenschwestern (d.h. der Frauen, die ihre Raubzuege begleiteten): Verwundeten floessten sie grosse Mengen an Zwiebelsuppe ein und rochen dann an den Wunden. Je nach Intensitaet des „Geruchs“ („Gestank“ waere wohl treffender) konnten sie auf die Tiefe und Schwere der Verletzung schliessen.

Santander 3

Heute fing die eigentliche Konferenz mit den wissenschaftlichen Vortraegen an. In der Plenary Session sprach Valentina Comba ueber „Communication: the digital world’s keyword“ und Les Grivell machte Werbung fuer e-Biosci und Oriel. Haengengeblieben ist mir vor allem die Begruessung durch Valentia als „distinguished colleagues“ und der EU-gefoerderte Versuch vom EMBL, eine Verlinkung zwischen Text- und Faktendaten zu schaffen (und ich dachte, das haette PubMed schon getan …).

Spaeter folgten vier parallele Sessions, von denen eine Grivell’s Hinweis auf die Notwendigkeit der Genominformationen aufnahm und direkt in der Einfuehrung forderte: „Librarians should know how to search key genetic information databases.“ Punkt. 😎 Diese neue Spezies bekam dann auch noch direkt einen Namen verpasst: „Biolibrarians“

Ulrich Korwitz fuehrte dann mit seinem Vortrag ueber German Medical Science als weiteres Zukunftsmodell quasi den „Editorial Librarian“ ein, der im Auftrag von Fachgesellschaften deren Kongresse und Zeitschriften publiziert. Nach der DFG-Foerderung wird GMS auf eigenen Fuessen stehen (muessen), aber voraussichtlich nicht mehr als 300 € pro Artikel verlangen. Er sucht noch 5 Bibliotheken, die eine von ihm entwickelte Software testen wollen, mit der jede Bibliothek Zeitschriften veroeffentlichen kann.