Das Schloss – von der Machtsymbolik auf Verlagshomepages

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„Früher“, das heißt im Internet so viel wie „Vor ein paar Tagen, Wochen, Monaten war’s noch so, glaube ich, aber beweisen kann ich das natürlich nicht mehr.“ Und in diesem Früher gab auf vielen Verlagsseiten Schloss-Symbole zu sehen, die anzeigten, ob man Zugriff auf einen Fachartikel hatte oder meist eben nicht. Heute ist das Schloss fast verschwunden – ohne natürlich, dass man deshalb mehr Artikel lesen könnte. Nachfolgend ein paar Betrachtungen zur Symbolik von Macht und Geld auf den Verlagsseiten medizinischer Fachzeitschriften.

Black_Lock_svgDas Schloss macht – in bemerkenswerter Doppeldeutigkeit des Wortes – die Verhältnisse unmissverständlich klar: Wer das Schloss hat, hat die Macht – da geht es noch nicht mal um Geld, sondern um die absolute Macht, das Schloss nach eigenem Ermessen zu öffnen oder zu schließen. Natürlich hilft bei Macht oft Geld, aber wenn ein Verlag nun aus irgendeinem Grunde beschlösse, einen Artikel partout nicht herzugeben, müsste man das wohl auch akzeptieren. Und ginge es (nur) um Geld, hätte man ja nicht ein Vorhängeschloss als Standardsymbol erfunden.

Wenn Sie noch Schlösser sehen wollen (auf Verlagshomepages und nicht an der Loire), sollten Sie schnell sein. Nach meiner bescheidenen Ad-Hoc-Recherche gibt es nur noch bei Thieme die volle Vielfalt zu sehen: Ein geschlossenes Schloss für Artikel, auf die man nicht zugreifen kann, ein offenes Schloss für freie (oder im Rahmen der Lizenz erworbene) Artikel. Letzteres in grün, Frühling und freie Fahrt, das ist positiv und weckt berechtigte Hoffnung auf den Artikel; die geschlossenen Schlösser sind auf Thieme-blauem Hintergrund, da ist gleich klar, wer hier der „Schloss-Herr“ ist und von wessen Willen die Freiheit des Artikels abhängt.

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Springer zeigt nur noch geschlossene Schlösser und zwar dort, wo ein Artikel tatsächlich nicht raus darf (zum Beispiel auf meinen Computer), sondern im finsteren Server auf Lösegeldzahlungen warten muss. Verfügbare Artikel sind nicht weiter gekennzeichnet, was dem Optimisten als liberale Grundeinstellung des Verlags erscheinen kann: Die eigentliche Natur eines Artikels ist die Freiheit (außer eben bei denen, die man wegsperren muss, nur in diesem Falle nicht von Gesetzes sondern des Geldes wegen). Aber wer ist heute schon noch Optimist …

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Andere Verlage (z.B. Wiley) haben da genau die gegenteilige Perspektive und zeigen nur noch offene Schlösser – wenn ein Artikel zugängig ist. Für den Rest gilt: „There is no such thing as a free lunch“, beim Klick kommt dann (bei Wiley erst nach einigem Ladebrimborium) die Bezahlschranke. Ein Symbol, das das schon vor dem Klick anzeigen würde wäre durchaus hilfreich und ja auch logisch. Zwei Erklärungsmöglichkeiten für sein Fehlen scheinen mir plausibel: Man hat das versperrte Schloss aufgrund seiner negativen Symbolik einfach gestrichen, etwas Besseres ist dann aber keinem eingefallen – oder die Logik des Online-Shops ist hier schon das alleinige Maß der Dinge: Bei Amazon gibt es ja auch kein Schloss an jedem Produkt, nur weil man es bezahlen muss (auch wenn das eine wunderbar absurde Vorstellung wäre).

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Wieder andere verzichten auf Symbolik und setzten auf Text, etwa WoltersKluwer („FREE“ und „BUY“ bzw. bei OVID der Zusatz „Pay Per View“). Das ist immerhin ehrlich und klar – und gleichermaßen schade wie interessant, dass sich weit und breit nirgends ein Symbol für die zum Download notwendige Geldzahlung findet, verständliche Piktogramme gäbe es ja genug. Ist das dann vielleicht doch irgendwie unfein, wenn quasi das gesamte Inhaltsverzeichnis einer Zeitschrift mit Geldsymbolen übersäht wäre? Näher an der Wirklichkeit wäre es aber auch, irgendwie.

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Und zuletzt noch ein Sonderfall, ein Anbieter, bei dem man ja eigentlich ein klares Bekenntnis zum Monetären erwarten sollte: Elsevier. Hier geht man einen Schritt weiter und verkauft den Artikel einfach gar nicht (siehe oben zum Thema Macht). Glauben Sie nicht? Ich auch nicht – aber bei uns im Krankenhausnetzwerk geht es tatsächlich nicht. Ist der Artikel nicht bei den (wenigen) Zeitschriften, die wir lizenziert haben, gibt es einfach keinen PDF- oder Volltext- oder Buy-Button, sondern nur ein zaghaftes, graues und leicht rätselhaftes „Get Full Text Elsewhere“. Wieso „elsewhere“? Hat hier die Rechtschreibprüfung den Namen des Verlags korrigiert? Jedenfalls schaut es „elsewhere“ auch nicht besser aus, man kommt nur wieder zurück zur vorigen Seite, ohne Full Text.

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Was lernen wir daraus? Unübersichtlich geht es zu auf den Seiten, auf denen die Fachartikel auf unseren Besuch warten und schwer sind die Bedingungen zu erkennen, zu denen wir uns ihnen dann nähern dürfen. Soweit so bekannt. Auf einer symbolischen Ebene geht es bei der „Bezahlschranke“ m.E. jedoch weniger um Geld als um Macht; das Schloss als Piktogramm ist auf dem Rückzug und es entsteht doch keine Atmosphäre der Freiheit, ja nicht mal ein ordentlicher Artikel-Online-Shop … mit verlockenden Angeboten, konkurrierenden Preisen und bequemer Bezahlung. Eher stelle ich mir so einen Online-Shop in einer sozialistischen Diktatur vor, mit willkürlichen Preisen ohne jeden Realitätsbezug und der subtilen Botschaft, dass es sich bei der Verfügbarkeit der Artikel nicht um ein Recht des Nutzers sondern um das Ermessen des Herrschers handelt – und das Ganze garniert mit der drohenden Symbolik massenweiser Vorhängeschlösser. So sieht sie heute aus, die Kombination von Internet, Urheberrechtsmonopolismus und Marktwirtschaft.

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