Academic Publishing in Europe: Mittwoch

Der zweite Tag der Konferenz (erster Tag) brachte eine Vielzahl an hochinteressanten Vorträgen und VAGs (4-Augen-Gesprächen).

Martin White von Intranet Focus, einer Suchmaschinenfirma, klärte uns über die Geschäftsmodelle von Suchmaschinen auf und die Wichtigkeit von Metadaten. Diese sollten keinesfalls von den Autoren selber ausgewählt werden, sondern von den Lesern. Nur diese alleine wüssten, wonach sie suchen würden. Auch wenn der Autor seinen Artikel mit einem bestimmten Lese-Zweck im Hinterkopf geschrieben hätte, könnte er doch unter einem ganz anderen Zweck nützlich für jemanden werden. Bei der Suchmaschinentechnologie gibt es keine erfolgreiche Open Source, da man einfach zuviel Geld und Manpower in eine effiziente Suchtechnologie stecken müsste. Eine der beiden marktdominierenden Firmen, FAST, würde zu diesem Zweck alleine 18 Mathematiker beschäftigen.

Mit Hans Jansen, dem Direktor der Königlichen Bibliothek der Niederlande (KB), kam dann das erste (und letzte) Mal ein Bibliothekar aufs Podium. Sehr souverän, zurückhaltend und kooperativ schilderte er die Initiativen der KB zum elektronischen Archivieren. Eine Grafik war besonders erschreckend: Die stetige Abnahme der Nutzungsdauer eines Mediums mit der Fortschrittlichkeit. Während Papyri noch 104 Jahre benutzt wurden, wurden Papierbücher nur 103 Jahre benutzt, Mikrofiche 102 Jahre, Disketten und CDs 101. Die KNAB benutzt die beiden Wege Emulation und Migration zur Langzeitverfügbarmachung von elektronischen Pflichtexemplaren (Gesetz dazu bereits 1994!) – im Gegensatz zu anderen Projekten. Der Aufwand an Forschung und Entwicklung dafür sei notwendig (inhärent), aber nicht abzuschätzen, da man nicht wüsste, was die Zukunft für Technologien bringen würde. Er kritisierte die Ansätze von (C)LOCKSS (keine Preservation Toolbox) und Portico (nur Migrations-Strategie, darum keine Bewahrung des originalen Layouts) und stellte die Safe Places-Strategie der KNAB als einzige 100% Lösung vor, die allerdings ein permanentes Commitment, infrastrukturelles Budget und den festen Willen auf Trägerseite benötige. Die Verträge, die KB mit den Verlegern abschließt (KB möchte über die Pflichtexemplare hinaus möglichst viel archivieren), basieren auf gegenseitigem Vertrauen und dem kommerziellen Interesse der Verleger. Typische Vertragskonditionen wären: onsite access, Fernleihe in den Niederlanden, keine Archivkosten für die Verleger, Garantie der Einhaltung von Lizenzen. Es bestehen Verträge mit den 20 größten Verlegern (=8% aller Publikationen), aber sie würden jeden Verlag akzeptieren, der im STM-Bereich arbeitet. Mit dem aufgebauten IBM-System könnten 40.000 Artikel pro Tag archiviert werden, die Kostenfrage sei aber noch nicht geklärt. Es handele sich aber nur um einen Bruchteil der gesamten Publikationskosten. Auf die Frage wer alles auf dieses Archiv zugreifen könne, antwortete er, das solange ein kommerzielles Internesse der Verleger bestehen würde, die archivierten Artikel nur den Lizenznehmern zur Verfügung gestellt werden könnten. Aber irgendwann lohnt es sich für den Verleger nicht mehr, da die Nachfrage zu gering für einen Profit ist, dann könnten die Artikel – zu den Konditionen der KB – jedermann angeboten werden.

Henk F. Moed vom bekannten Bibliometrie-Institut CWTS schickte dann die versammelte Verlegerschaft endgültig ins Reich der Träume, als er mit hochkomplizierten bibliometrischen Statistiken bewies, dass das Open Access-Argument „OA-Artikel werden häufiger zitiert“ – nur ein Märchen sei. Der Zitationsvorteil der OA-Artikel betrüge nicht hunderte Prozent wie Harnad und Kollegen meinten, sondern initial vielleicht 25% um dann innerhalb von 5-8 Jahren auf Null zurückzugehen. Sally Morris fragte mehrfach nach und bekundete großes Interesse an diesen Ergebnissen und einer möglichen Kooperation. Persönlich fand ich Moed’s mit Annahmen nur so gespickte Studie anhand einer einzigen Hochenergiezeitschrift etwas dünn und zu zuhörerorientiert.

Georg W. Botz von der MPG gab dann einen kurzen Bericht von der 4. Berlin-OA-Konferenz in Golm. Open Access wäre „larger than publishing“, es würde die Nutzung von Rohdaten und damit die wissenschaftliche Zusammenarbeit auf ein neues Level heben, die kulturellen Güter bewahren und neue Forschungswerkzeuge ermöglichen. Von Sally Morris gefragt, wie das denn mit der Zitationsrate von OA-Artikeln wäre, wies er noch mal auf den generellen Vorteil von Open Access hin. Auf ihre Rückfrage, das wäre ja wohl nicht die Antwort auf ihre Frage, wiederholte er sein Statement. Sally Morris gab dann etwas konsterniert ihren Versuch auf, die Moed-Aussage erneut auf’s Podium zu bringen.

DFG-Referent Johannes Fournier (als Vertretung für Gudrun Gersmann, Bibliothekskommittee der DFG) berichtete über die Politik der DFG, den deutschen Wissenschaftler die für ihre Forschung notwendige deutsche und ausländische Literatur zur Verfügung zu stellen. Dafür hat die DFG in den letzten Jahren 27 Mio. für Nationallizenzen ausgegeben. Weitere 34 Mio. wurden im letzten Jahr für Bibliothekssysteme, die Bewahrung von Kulturgütern und neue Publikationsmethoden zur Verfügung gestellt. Zwei Projekte des pay-per-use-Zugangs zu wiss. Artikeln und Büchern(?) wurden an der BSB München und TIB Hannover getestet. Da die DFG nicht jedes Jahr zusätzliche 21,5 Mio. Euro für wissenschaftliche Literatur aufbringen kann, sollen stattdessen neue Publikationsformen wie Open Access unterstützt werden. Wichtig in diesem Zusammenhang und Ziel der gegenwärtigen Politik ist der Aufbau einer virtuellen Forschungsumgebung (das virtuelle Labor), die im Gegensatz zum Status Quo sowohl user-oriented statt als auch service-oriented im Sinne der SOA ist. Dies geht nur mit wiederverwendbarer / änderbarer Literatur. Der Kernsatz lautet deshalb: From Holding of Info to Access of Info to Working with Info. Letzteres geht nur mit Open Access.


Und dann war auch schon wieder Matthew Cockerill von BMC dran. Nun ging es um die „Economics of Open Access Publishing“ und es wurde richtig interessant. BMC ist mit 15.000 publizierten Artikel ein medium-size publisher und endgültig im Business angekommen. Dann wies er auf die armen Bibliothekare hin:

Librarians are on a tredmill which is running too fast to get off.

Als Ausweg gäbe es Open Access, das man neben einer vollen Mitgliedschaft (die vielleicht auch wieder zu teuer und zu unkalkulierbar für die tight library budgets ist) auch die unterstützende Mitgliedschaft mit einer fixed rate, die Wissenschaftler erhalten dann einen Abschlag bei der Publikationsgebühr. 400 Institute nehmen teil, die 69% aller Artikel bezahlen, 28% werden von den Autoren selber bezahlt, die restlichen 3% von den – noch ganz frischen – Supporting Institutions. Die viel diskutierte und gescholtene Erhöhung der Article Publication Charges von £ 300 auf 750 würde keinen negativen Effekt auf die Submissionquote haben. Die erste Erhöhung dieser Art in 2001 – 1,5 Jahre nach dem Start von BMC – führte zu einem starken Rückgang der eingereichten Artikelzahl, was sich jedoch innerhalb von wenigen Monaten ausgeglichen und das Gesamtwachstum von BMC nicht beeinträchtigt hätte. Die nun eingeführte Erhöhung hätte im Gegensatz dazu noch nicht einmal zu einem Rückgang geführt – so gut sei BMC mittlerweile etabliert. Cockerill sprach es nicht offen aus, doch nach seiner Frage „How much is it reasonable to charge?“ und der Antwort „APS würde als eine sehr ökonomisch arbeitende Fachgesellschaft Kosten in Höhe von $ 1.900 pro Artikel erwirtschaften“ lag es nahe liegend, dass auch BMC eine Einnahme von $ 1.000 – 2.000 (€ 850 – 1.700) anstrebt. Mit £ 750 (€ 1.100) ist man hier also noch um 50% ausbaufähig (ein netter Nebeneffekt: Mit dann 1.700 wäre man teurer als die PloS-Titel und hätte damit kein Problem mit der Credibility – „BMC ist der Open Access-ALDI“ – mehr). Da BMC vor dem erwarteten Verkauf in 2-3 Jahren (s.u.) noch in die Gewinnzone muss, ist es also eine Frage der (schwarzen) Zahlen, ob uns noch eine weitere Erhöhung bevorsteht.
[Im Gespräch wies Cockerill darauf hin, dass BMC Eigentum von Vitek Tracz sei (und dessen größte Firma). Dessen Politik sei bekannterweise sich neue Geschäftsmodelle auszudenken und dann eine private Firma zu gründen, die dieses Modell entwickelt, ausprobiert und zum Erfolg führt. Letztendlich werden alle Vitek-Tracz-Unternehmen nach der Aufbauphase an etablierte Firmenkonzerne verkauft (siehe BiomedNet, siehe Current Opinion Titles, siehe Current Medicine Group). Wenn dies auch mit BMC passieren würde, wäre dies kein Nachteil, sondern ein großer Gewinn für die Open Access-Idee, da dadurch Open Access endgültig im Mainstream angekommen und von den Global Playern akzeptiert worden wäre.]

Über Renè Olivieri mag ich gar nicht sprechen. Der Blackwell-Publishing-CEO warf mit den Stereotypen vom guten Verleger und schlechten Umfeld nur so um sich. Jeder möge sich selber ein Bild machen. Olivieri meint z.B. Bibliothekare würden Open Access deswegen unterstützen, weil sie sich an den Verlegern für die hohen Zeitschriftenpreise rächen wollten (!). Schade eigentlich, denn seine Rede hatte sehr interaktiv und spannend begonnen: Nach seiner Aufforderung, die Verleger unter den Zuhörern sollten den Arm heben, und jetzt bitte diejenigen Verleger, die sich nicht geliebt fühlen! Blieben immer noch eine erstaunliche Anzahl von Armen oben.

Henning Nielsen vom Novo Nordisk und dem Pharma Documentation Ring PDR blieb mir deshalb im Gedächtnis, weil er der einzige Vertreter der Pharmaindustrie war. Gerade diese war kurz zuvor von einem Verleger angeführt worden als Argument, dass OA nicht funktionieren würde, da ja die Industrie nur Vorteile daraus ziehen und nichts in das System hinein geben würde (ein Argument, das Peter Suber schon längst und elegant widerlegt hat). Nielsen bestätigte diese Vorwürfe indirekt, als er tapfer die Publikationszahlen von Novo Nordisk nannte: 300 Artikel im Jahr, Tendenz fallend. Hört sich erstmal nicht schlecht an, aber bei einem Forschungsetat von 4 Mia. Euro (13 Mio. pro Paper) nicht wirklich vergleichbar mit einer Uni (bei uns ist ein Paper ca. 40-mal ‚preiswerter’).

Dann durfte (musste) man sich am Buffet Lunch stärken, denn nun kamen drei „Legal Consultants“, zuerst Mark Seeley von Elsevier, dann Christian Sprang vom Börsenverein und Antje Sörensen von der International Publisher Association. Seely und Sörensen brachte nichts wirklich Neues. Sörensen wies zumindest noch darauf hin, dass man die Auseinandersetzung mit den OA-Befürwortern nicht nur rational führen müsse (da wären die Verleger sehr gut aufgestellt), sondern auch emotional, da hier Open Access starke Gefühle ins Spiel bringen würde (Freiheit der Informationen, Menschenrecht auf freien Zugang zu Information, Steuerzahlergelder, etc). Leider konnte sie den begierig lauschenden Verlegern außer einigen Füllseln (we are custodian of knowledge, set info into context, make sponsoring) auch nichts wirklich Durchschlagendes anbieten.

Der wirkliche Bringer war aber der gute Justiziar des Börsenverein, der zum Thema „Strategic Change – in which Direction?“ einen derart einseitigen und verwirrenden Vortrag hielt, dass die vom deutschen Urheberrecht unbeleckten Anwesenden folgendes glauben mussten: Die deutschen Politiker sind dem Urheberrechtsschutz gegenüber feindlich eingestellt, wenn sie es denn überhaupt verstehen – die meisten Politiker interessieren sich nicht dafür. Deutschland und insbesondere seinem Bildungssystem geht es grottenschlecht – das ist kein Zufall, sondern hat mit den veralteten Schulbüchern zu tun (Weil die Schule sie stellt, müssen die Eltern sie nicht mehr kaufen: Als Resultat geht es zuerst den Verlagen schlecht und dann den Kindern – selber schuld!). Damit die Politiker den Bibliotheken nicht mehr Geld geben müssen, forcieren sie ein lasches Copyright, das vor Ausnahmen nur so wimmelt. Bibliothekare haben eine ideologische Brille auf, wenn es um Open Access geht. Sie und die Politiker glauben, sie könnten weniger ausgeben und trotzdem effektiver sein ohne die Verlagsindustrie und den privaten Sektor. Mit dem deutschen Copyright hätte kaum ein Verleger noch den Anreiz, überhaupt etwas zu publizieren. Bibliotheken dürften alles auf ihren PCs anbieten, selbst wenn sie das Werk nicht besitzen. Bibliotheken dürften PDFs an jedermann verschicken, selbst ins Ausland und an Pharmafirmen, und die Verleger würden nichts dafür bekommen. Und so weiter und so fort … 20 Minuten non-stop …

Sprang bezeichnete seine Ausführungen als das Ergebnis seiner „Evaluationen“. Erhellend und auch recht nahe liegend im Sinne der Konferenz wäre es vielleicht gewesen, das deutsche Urheberrecht dem anderer Länder sachlich und übersichtlich gegenüberzustellen. So aber musste es jedem ausländischen Teilnehmer vorkommen, als ob sich Deutschland selber das Bildungs- und Copyright-Grab schaufeln würde – keine gute Werbung für das Veranstalterland! Ich war auf einiges gefasst gewesen, aber einen so einseitigen, polemischen und didaktisch schlechten Vortrag habe ich selten gehört.

Martin Marlow von Atypon entschädigte uns anschließend auf angenehmste – seine Folien waren voll gepackt mit hochinteressanten und zukunftsweisenden Ausführungen zum wissenschaftlichen Informations- und Kommunikationswesen insgesamt und gaben einen hervorragenden Überblick über den Status Quo und die kommenden Entwicklungen. Auf einer seiner 20 Folien war der Zugang zur Literatur so systematisch und durchdacht abgehandelt, dass man alleine daraus einen eigenen, halbstündigen Vortrag über das Bibliothekswesen hätte machen können. Leider beeilte sich Marlow (wohl, da ein zusätzlicher Redner in die Session aufgenommen worden war) so sehr mit seinem Vortrag, dass alles ein bisschen unterging. Aber ich werde ihm eine Mail schreiben und um die Folien bitten.

Die Podiumsdiskussion liefere ich noch nach.

Competing Interests: BioMed Central hatte mich auf die Konferenz eingeladen.

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