Bibliothekskongress: Nationallizenzen und bundesweite Konsortien / Frust

Frust, Frust, Frust – Die Erfahrung von früheren Bibliothekartagen: „Die wichtigsten Themen finden in den kleinsten Räumen statt„, scheint sich hier wieder zu bestätigen (dies gilt übrigens auch für die Session Soziale Software). Nationallizenzen und bundesweite Konsortien: Erfahrungen und Perspektiven (Word-Abstract), fand (oder findet vielmehr noch, ich bin geflohen) im klitzekleinen Raum 11 statt (100 Personen Nenngröße, dabei waren bereits beim letzten Bibliothekartag über 300 Leute bei dieser Session!) – die veranstaltende Expertengruppe Erwerbung und Bestandsentwicklung des DBV (oder die AG Nationallizenzen?) hat sich hier wohl schwer verkalkuliert und die deutschlandweite Bedeutung ihrer Arbeit unterschätzt. Während ich draußen auf das Ende des Vortrags von Dr. Bunzel, DFG, warte, um hereinzukommen, kehren bestimmt 50 interessierte Zuhörer wieder frustriert um, als sie sehen, dass sich die Zuhörer buchstäblich bis auf den Flur stapeln. Aber es hilft alles nichts, das ist mein Job, dafür bin ich Bibliothekar, da muß ich rein. (Und wenn ich schon mal am Knöttern bin: 3 (in Worten: drei!) Internet-PCs für wievielhundert Teinehmer ist ein absolutes Armutszeugnis. Und: Wenn schon WLAN, dann auch für die Besucher, nicht nur die Aussteller. Von mir aus auch kostenpflichtig 🙁 aber das ist einfach internationaler Standard und da ist selbst Rumänien uns meilenweit voraus!)

Zurück zur Session: Das Hineindrängen lohnt sich, Frau Wiesner, HEBIS, klärt in anschaulicher Weise über die Ziele, Wege, Verhandlungen und Hintergründe von Nationallizenzen auf.

Leider ist der Prozess nicht so transparent – aber das soll kommen. Jeder kann doch der verhandelnden AG Nationallizenzen Datenbanken oder Zeitschriftenarchive vorschlagen – ach, seit wann denn das? Gibt es da einen formalen, öffentlichen Weg – ich kenne keinen. Das läuft wohl eher informell: Man kann ja einen der Verhandlungsführer ansprechen: Aha, sehr transparent.

Was mich dann vollkommen aus der Fassung bringt: Die Gutachter entscheiden anhand von ad hoc Kriterien über Annahme oder Ablehnung eines ausverhandelten Pakets. Das muß man sich dann wohl offensichtlich so vorstellen: Es wird über medizinische Zeitschriftenarchive von Wiley diskutiert (oder Nature etc.). Dann wird in die Runde geschaut: Top oder Flop? Einer der Gutachter sagt dann (nach Frau Wiesner): Medizinische Zeitschriftenartikel werden ja eh nicht mehr benutzt, wenn sie älter als 2 Jahre sind. Gut, das es den Kollegen gibt! Das Paket kann endlich abgelehnt werden. Nächster Punkt. 😯

Wo sind wir? Werden hier allen Ernstes 45,7 Mio. Euro (und demnächst mehr, das Projekt geht bis 2012) nach solchen Kriterien vergeben?? Wo doch handfeste Studien existieren, die – z.B. anhand von Fernleihzahlen – deutlich das Gegenteil beweisen?* Diese und eine Vielzahl weiterer Studien zeigen, dass 20% der bestellten Literatur älter als 20 Jahre ist, und das selbst ein Bedarf für Artikel vor 1900 besteht. Urteilen wir als wissenschaftliche Bibliothekare nach Emminence oder Evidence? Eine Evaluierung des DFG-Nationallizenzprojektes wurde bereits angemahnt und erscheint nach den neuen Informationen nötiger denn je.

* z.B. Zeitschriftenmanagement II – Zeitschriftenbedürfnisse und -bewertungskonzepte. Bibliotheksdienst 2000, 34: 1194-1210 (hier Seite 1209).

Nachtrag: Ich muß Abbitte leisten bei der die Expertengruppe Erwerbung und Bestandsentwicklung des DBV. 😳 Die Gruppe hatte sich nicht verkalkuliert, sondern nachdrücklich einen großen Raum für die Veranstaltung beantragt – der schwarze Peter liegt also beim Veranstalter (In den großen Säälen 1, 2 und 3 fand parallel folgendes statt: Treffpunkt Standardisierung, Bomben und Bibliotheken, Bibliotheksgesetzgebung für Deutschland) – Für mich vollkommen peripher, aber für viele vielleicht nicht: Wer weiß, wieviel genau dort waren?).